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Der Entwicklungsvorstand der Zukunft

January 2017

Entwicklungsvorstände haben den Unternehmenserfolg in der Hand

Der Aufsichtsrat bestellt und entlässt die Mitglieder des Vorstands. Jedes Vorstandsressort und die damit betrauten Persönlichkeiten haben einen wesentlichen Anteil am Unternehmenserfolg — ganz unabhängig von der Branche.

In der Automobilindustrie kommt dem Entwicklungsvorstand1 jedoch eine besonders herausgehobene Rolle zu: Als Hauptverantwortlicher für das Produkt repräsentiert er im besten Fall mit hoher Glaubwürdigkeit den Kern des Unternehmens, die Technik. Und damit hat er auch eine fundamentale Funktion für die Marke. Das macht ihn so eminent wichtig. Sein Auftreten und Handeln fallen entscheidend ins Gewicht bei der strategischen Ausrichtung und für den Erfolg des Unternehmens.

In den kommenden 36 Monaten werden zahlreiche Entwicklungschef-Positionen auf den Prüfstand kommen — sei es für eine Vertragsverlängerung oder für eine Neubesetzung. Damit sind ein signifikanter Anteil des zukünftigen Weltautomobilabsatzes und der darin enthaltenen Systeme, Module und Komponenten betroffen.

Unternehmen und ihre Aufsichtsräte, die sich frühzeitig mit dieser besonderen Thematik befassen und ihre Anforderungskriterien überdenken, werden sich spürbare Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Um die Anforderungen an den Entwicklungsvorstand der Zukunft besser zu verstehen, haben wir ausgewählte Persönlichkeiten aus dem Aufsichtsrat, Vorstand und der Geschäftsführung bei Automobilherstellern und -zulieferern befragt. Zusätzlich haben wir im Rahmen kürzlich abgeschlossener und laufender Suchmandate mehr als 30 CEOs, Vorstände und Entwicklungsleiter interviewt und die entsprechenden Positionsbeschreibungen analysiert. Auf dieser Basis konnten wir herausarbeiten, was in Zukunft einen sehr guten von einem guten Entwicklungschef unterscheiden wird.

Herausforderungen und Aufgabenbereiche wachsen immer stärker an

Generell werden an Vorstandsmitglieder die höchsten Anforderungen gestellt — insbesondere hinsichtlich Persönlichkeit und Führungsqualitäten. Speziell im Verantwortungsbereich eines Entwicklungsvorstands in der Automobilindustrie ergibt sich inhaltlich zusätzlich eine Vielzahl neuer Herausforderungen, die bei der Wieder- oder Neubestellung berücksichtigt werden müssen:

E-Mobilität & Digitalisierung

Elektrisch betriebene, vernetzte und autonom fahrende Autos, Carsharing und ein verändertes Mobilitätsverhalten, fortschreitende Digitalisierung der Wertschöpfungskette: Die Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen, deren inhaltliche und strukturelle Bewältigung uns noch viele Jahre beschäftigen wird. Die Richtung bleibt vielerorts unklar — bei gleichzeitig höchstem Druck, hier zielführende Lösungspfade zu finden und erfolgreich zu beschreiten.

Geschäftsmodellentwicklung

Ging es früher im Wesentlichen „nur“ um die reine Fahrzeugentwicklung, müssen die Verantwortlichen heute und morgen sehr viel tiefer am grundsätzlichen Geschäftsmodell, an der Strategie und an zusätzlichen Mobilitätsservices feilen.

Systemkomplexität

Die Anforderungen an die technische Integration und Beherrschung der Systemkomplexität steigen — und damit wird vernetztes Arbeiten über Ressortgrenzen hinweg in der n-dimensionalen Matrix mit teils unklaren Berichtswegen zur täglichen Praxis.

Managementaufwand

Die zunehmende Regulierung und steigende Anforderungen von Geschäftspartnern im In- und Ausland fördern die Tendenz, dass es nicht mehr allein nur darum geht, was entwickelt wird, sondern auch wie (gerichtssichere Dokumentation, Prozesse, Standards etc.). Eine neue Dimension und ein zusätzliches Indiz für die wachsende Komplexität, die für den Entwicklungschef eine weitere Verlagerung seiner Arbeitszeit weg von der Innovation hin zum abstrakten Management mit sich bringt.

Geschwindigkeit

Schon seit Jahrzehnten gilt die Zunahme der Geschwindigkeit und Schnelllebigkeit in der Branche sprichwörtlich als „running gag.“ Dennoch bleibt festzustellen, dass Schnelligkeit — gepaart mit Überlegung und Besonnenheit — noch nie so entscheidend war wie heute — beim Scouting der Trends, bei der Beurteilung ihrer Auswirkungen und beim Ableiten der eigenen Strategie.

Kommunikation

Kommunikation ist ein noch wichtigerer Bestandteil des Technologie- und Innovationsmanagements geworden. Der Entwicklungsvorstand muss mehr kommunizieren und als „Außenminister“ seines Bereichs auftreten. Extern wie intern sollte er als motivierender Fürsprecher für Innovation, Reputation und Erfolg von Unternehmen und Marke fungieren.

Zahlreiche Entwicklungsvorstände stehen in den nächsten drei Jahren zur Disposition

Bei näherer Analyse der Vertragslaufzeiten aktueller Entwicklungsvorstände der Automobilhersteller und der weltweit 50 größten Zulieferer wird klar, dass in den kommenden 36 Monaten zahlreiche Entwicklungschef-Positionen auf den Prüfstand kommen — sei es für eine Vertragsverlängerung oder für eine Neubesetzung. Damit sind ein signifikanter Anteil des zukünftigen Weltautomobilabsatzes (PKW, LKW, Bus etc.) und der darin enthaltenen Systeme, Module und Komponenten betroffen. Unternehmen und ihre Aufsichtsräte, die sich frühzeitig mit dieser besonderen Thematik befassen und ihre Anforderungskriterien überdenken, werden sich spürbare Wettbewerbsvorteile verschaffen.

Verlängerung oder Neubestellung von Entwicklungsvorständen unterliegen hohen Risiken

Gerade wegen seiner bedeutenden Rolle kommen beim Entwicklungschef zum allgemein üblichen Besetzungsrisiko noch das Produktrisiko und alle sich daraus ergebenden weiteren Risiken hinzu.

Schwierig kann es dann werden, wenn ein Entwicklungsvorstand das Unternehmen Richtung Wettbewerb oder aus Altersgründen verlässt, geeignete interne oder externe Kandidaten nicht verfügbar sind, der Übergang zwischen Vorgänger und Nachfolger nicht funktioniert oder aber ein potenzieller Nachfolger nicht über die gewünschten Fähigkeiten verfügt. Die anspruchsvollste Herausforderung allerdings: Aufsichtsräte müssen rechtzeitig erkennen, wenn sie mit der Bestellung eines Entwicklungsvorstandes eine Fehlentscheidung getroffen haben — und diese dann auch revidieren.

Gerade bei der Bestellung eines Entwicklungsvorstandes sollte also frühzeitig Klarheit darüber geschaffen werden, was eigentlich die Aufgabe des Entwicklungschefs ist und sein wird und welche Funktionen zu erfüllen sind — weil die alten Muster nicht mehr richtig funktionieren. Die Ansatzpunkte sind eine präzise Definition der tatsächlichen Rolle und klare Anforderungen an Erfahrung, Kernkompetenzen und gewünschte Wirkung.

Rolle und Dimensionen der Position müssen präziser definiert werden

Generell gilt es sicherzustellen, dass das Unternehmen seine Potenziale (in diesem Fall via Technologie und zukunftsweisende Geschäftsmodelle) tatsächlich ausschöpft. Dass die notwendigen Veränderungen schnell genug umgesetzt werden. Dass der Erfolgspfad unter (technischer) Unsicherheit gefunden wird und sich früher in wettbewerbsüberlegenen Produkten niederschlägt. Das sind die bekannten Kernaufgaben eines Entwicklungsvorstandes — wobei die Position alles andere als standardisiert oder immer gleich ist. Jedes Unternehmen hat sehr unterschiedliche Anforderungen an die Rolle in einer jeweils spezifischen Unternehmensphase und -organisation sowie Führungskonstellation. Dem muss Rechnung getragen werden.

Aufgabenschwerpunkte verlagern sich

Auch weiterhin wird ein Entwicklungschef den eigentlichen Entwicklungsbereich führen. Die Verantwortung für das globale Produktportfolio beinhaltet Wettbewerbsvorteile aufzubauen und die Ertragskraft des Unternehmens abzusichern oder zu steigern. Das setzt die Bereitstellung innovativer Produkte zu wettbewerbsfähigen Kosten voraus und erfordert zunehmend eine Erhöhung der Innovationsgeschwindigkeit.

Neben diesen herkömmlichen Aufgaben wird es in Zukunft noch wichtiger für den Entwicklungschef sein, auch relevante „high-risk/high-return“- Technologien zu identifizieren, sie zugänglich zu machen, und, soweit sinnvoll, in bestehende oder neue Produkte und Lösungen zu integrieren. Darüber hinaus wird die Rolle des Entwicklungsvorstandes wichtiger im Strategieprozess, bei M&A in der technologischen Bewertung, in der Markenkommunikation und bei der Pflege von Kontakten in Forschung und Regierung.

Entscheidend wird für ihn auch sein, im Entwicklungsbereich eine agile, Start-up-ähnliche Innovationskultur zu schaffen. Mit ihr können Entwickler in eigenverantwortlichen Projektteams kontinuierlich besser darin werden, aktuelle Marktchancen zu nutzen, und die richtigen Talente gewonnen und gehalten werden. Dazu müssen auch interne Innovationsbarrieren überwunden werden.

Einen erheblichen Einfluss auf die Aufgabenbeschreibung des Entwicklungsvorstandes haben die Unternehmensorganisation und die Konstellationen im Vorstandskreis. Die Einführung eines starken Produkt-/Baureihen-Managements etwa schmälert die Rolle des Entwicklungsvorstandes.

Gleichzeitig bilden sich oft neue Allianzen: Wenn zum Beispiel der CMO, oft in enger Zusammenarbeit mit dem CIO, die Innovation orchestriert, kann auch das erheblichen Einfluss auf Aufgabenspektrum und Verantwortung des Entwicklungsvorstandes haben.

Hier muss vor einer Berufung Klarheit geschaffen werden, um eine bestmögliche, wirkungsvolle Gesamt-Konstellation für das Unternehmen und den Entwicklungsvorstand selbst zu schaffen.

Kandidatenanforderungen häufig zu wenig zukunftsgewandt

Die klassischen Auswahlkriterien für einen Entwicklungsvorstand gelten nach wie vor: Neben nachweislichen Erfolgen sollte er Zugang zu den wichtigsten Stakeholdern auf Vorstands- und Aufsichtsratebene aufbauen, sich gut im Unternehmen und im R&D Bereich vernetzen und über langjährige funktionale und Branchenerfahrung verfügen. Und weil auch in Zukunft ein Fahrwerk, Bordnetze und Getriebe wichtig bleiben werden, sollte ein Entwicklungsvorstand über ein technologisches Grundverständnis verfügen.

Für das Eingehen und Management von Risiken bedarf es einer gewissen Mindesterfahrung und Bedenkenlosigkeit gegenüber der eigenen Karriere, um die Ungewissheit und Angriffe ertragen und seine Meinung auch unabhängig „durchziehen“ zu können.

Bei der weiteren Beschreibung der Kandidatenanforderungen an den Entwicklungsvorstand springen einige Aufsichtsräte allerdings gelegentlich zu kurz, wenn sie sich zu sehr an der Vergangenheit statt an der Zukunft orientieren: Standen früher häufig die Bedeutung von Forschen und universitärem Arbeiten oben auf der Prioritätenliste, sind inzwischen andere Anforderungen wichtiger geworden:

  • Neben einer langjährigen Entwicklungs- wird auch eine entsprechende Produktionserfahrung wichtiger
  • Betriebswirtschaft und Finance-/Controlling- Kenntnisse
  • Interkulturelle Fähigkeiten und Sprachen
  • Sicheres Agieren in der Öffentlichkeit

Diese Anforderungen klingen zunächst einmal plausibel — allerdings müssen wir uns schon fragen, wie sinnvoll es wirklich ist, auf x Jahren funktionaler Erfahrung zu bestehen, wenn 30- jährige Milliardäre ganze Industrien „disrupten“. Insofern zählen zu den wichtigsten Anforderungen an den Entwicklungsvorstand auch und gerade:

  • Belastbare Erfahrungen im Software-Engineering — sie gehörte in vielen Fällen bislang nicht zur DNA eines Entwicklungsvorstandes, ist aber entscheidend geworden
  • Nachweisliche Erfolge beim Aufsetzen und der Einführung von neuen Geschäftsmodellen — dies ist bereits von hoher Bedeutung und wird künftig noch wichtiger.

Aber selbst wenn diese Punkte alle ausreichend berücksichtigt werden — manche Aufsichtsräte neigen bei der Positionsbeschreibung dazu, spezifische Fähigkeiten oder Branchenerfahrungen als vorrangige Voraussetzungen zu formulieren. Damit wird die Fachkenntnis als Erfolgsfaktor zu Lasten der Managementqualifikation — den der deutsche Begriff „Führungskunst“ besser trifft — überschätzt und damit das Kandidatenfeld von vornherein eingeengt.

Denn weitaus entscheidender als alles im Detail zu verstehen ist es — so banal das klingen mag — tatsächlich „führen“ zu können. Die Suche nach einer echten Führungspersönlichkeit muss deshalb im Vordergrund stehen. Gefragt sind keine Task Force Manager, sondern langfristig denkende Führungspersönlichkeiten und Unternehmensgestalter, die technisches Verständnis mit zukünftigen Geschäftsmodellen verbinden können. Insofern gilt es, bei den Kernkompetenzen anzusetzen, um besser und zukunftsfähiger zu werden.

Die entscheidende Frage dabei lautet: Was unterscheidet einen sehr guten von einem guten Entwicklungschef?

Die dreizehn Kompetenzen des Entwicklungschefs der Zukunft

Künftige Entwicklungsvorstände bilden idealerweise eine Kombination aus einem exzellenten Strategen und Innovator, einer herausragenden Führungspersönlichkeit und einem versierten Veränderungsmanager mit ausgeprägter Ergebnisorientierung:

Exzellenter Stratege & Innovator

Fähigkeit 1: Ein sehr guter Entwicklungschef misst sich daran, ungewöhnliche Dinge zu tun und für „seine“ Projekte zu kämpfen

Das setzt voraus, eine Zielrichtung für die kommenden fünf bis zehn Jahre vorgeben zu können, für die dann auch gekämpft wird. Es sollte eine Vorstellung davon vorhanden sein, wohin es bei aller Unsicherheit gehen und mit welchen Technologien das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft geführt werden soll — möglichst kompatibel mit der Unternehmensstrategie oder als treibende Kraft für deren Weiterentwicklung.

Insofern erkennt und analysiert der Entwicklungsvorstand künftig gemeinsam mit seiner Führungsmannschaft nicht nur die relevanten Trends, sondern versteht auch ihre mögliche Tragweite und Auswirkung auf das Unternehmen. Dazu antizipiert er zukünftige Kundenbedürfnisse und übersetzt sie in konkrete Produkt- und Geschäftsmodellanforderungen. Und er erkämpft das dafür erforderliche Budget.

Fähigkeit 2: Ein sehr guter Entwicklungschef hat höchste Innovations- und Gestaltungskraft

Vorbedingung ist es, herkömmliche Annahmen zu Technologie, Produkten und Märkten infrage zu stellen und darüber im Idealfall neue Möglichkeiten und Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen zu schaffen. Damit einher geht ein fast schon leidenschaftlicher Einsatz dafür, die Entwicklungs- Pipeline mit wettbewerbsüberlegenen, innovativen, marktgerechten Produkten zu füllen.

Fähigkeit 3: Ein sehr guter Entwicklungschef geht Risiken ein

Er hat die Courage, bestimmte Technologie-Themen herauszuschneiden, auf die sich das Unternehmen konzentriert und die es klar angeht — und damit in Kauf nimmt, deshalb andere Dinge bewusst nicht zu tun. Das setzt Abstraktionsfähigkeit voraus, um unterscheiden zu können, was tatsächlich wichtig und was unwichtig sein wird — und dies auch klar darzustellen und umzusetzen.

Fähigkeit 4: Ein sehr guter Entwicklungschef wird als wichtiger Partner in der Strategiediskussion respektiert — auf Augenhöhe mit den anderen Vorständen

Er bringt die Technologieseite und die Auswirkungen auf das Geschäftsmodell wirksam, kompetent und mit Nachdruck in die Strategiediskussion ein. Das erfordert Gespür für die Gesamtkonstellation im Vorstand, die Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie und vor allem ein wirkliches, tiefes Verständnis der Marke und ihrer Anforderungen.

Herausragende Führungspersönlichkeit

Fähigkeit 5: Ein sehr guter Entwicklungschef ist eine Führungspersönlichkeit, die auch managen kann

Das ist die Idealkombination. Ein purer Manager würde nur das Tagesgeschäft steuern. Es kommt vielmehr darauf an, die strategischen Themen im Griff zu haben und die Marschrichtung vorzugeben.

Ein sehr guter Entwicklungschef ist eine echte Persönlichkeit und verfügt über außerordentlich starke Führungsqualitäten. Er muss Menschen motivieren können und sie für die Aufgabe und großen Herausforderungen („The thing bigger than myself“) begeistern. Zentrales Kriterium ist die Fähigkeit, das volle Commitment seiner Führungsmannschaft zu erreichen und aufrechterhalten zu können.

Fähigkeit 6: Ein sehr guter Entwicklungschef hat ein „extrem gutes Händchen“, sein Team auszuwählen

Er schafft den Raum und befähigt seine Mitarbeiter, selbstständig Projekte anzustoßen, strategische Ziele zu setzen und ihre Führungsrollen eigenverantwortlich wahrzunehmen. Dazu schafft er eine Organisation, Prozesse und Gremien, um die cross-funktionale und globale Zusammenarbeit zu intensivieren und interne Widerstände abzubauen. Das erfordert die Fähigkeit, in einer multidimensionalen Matrix effektiv führen zu können.

Fähigkeit 7: Ein sehr guter Entwicklungschef ist ein exzellenter Kommunikator

Er zeichnet sich durch einen souveränen Auftritt aus, als jemand, der den Entwicklungsbereich „im Griff“ hat und nach außen stark repräsentiert. Er kann überzeugend darlegen, wo sein Unternehmen wie besser und warum schneller als der Wettbewerb sein wird. Das setzt Sicherheit und Gewandtheit auf internationalem Parkett voraus — und die leider noch immer eher seltene Fähigkeit, die Strategie überzeugend auch ohne Powerpoint-Charts auf Englisch erläutern zu können — auch gegenüber Analysten.

Fähigkeit 8: Ein sehr guter Entwicklungschef ist in (fast) jedem Thema diskussionsfähig

Das erfordert breite und tiefe technische Kenntnisse, um wirklich hinterfragen zu können, ob die Fachleute ihren Auftrag trotz aller (Kosten-, Zeit- und Qualitäts-) Zwänge im Produktentstehungsprozess richtig erfüllt haben oder ob sie suboptimale Kompromisse eingegangen sind. Wichtig ist die Fähigkeit des Entwicklungsvorstandes, ein Produkt gesamtheitlich beurteilen zu können — er muss die Eigenschaften des Fahrzeuges „erfahren“ und seine Bewertung motivierend an die Mannschaft weitergeben können. Das setzt geistige Beweglichkeit voraus mit der Fähigkeit, thematisch schnell umschalten und die Betrachtungsebene (operativ vs. strategisch) wechseln zu können.

Fähigkeit 9: Ein sehr guter Entwicklungschef deckt ein Führungsstil-Spektrum ab

Gesucht sind Persönlichkeiten mit Rückgrat, die keine Denkverbote akzeptieren und den Mut zum berechtigten Widerspruch haben — aber auch die Fähigkeit und Bereitschaft, im Konsens zu entscheiden. Genauso muss ein der Unternehmensphase gerecht werdendes Spektrum von kooperativen UND autokratischen Führungselementen abrufbar sein. Das setzt hohe soziale Kompetenz und großes diplomatisches, auch interkulturelles Geschick voraus.

Versierter Veränderungsmanager

Fähigkeit 10: Ein sehr guter Entwicklungschef geht souverän mit dem Unbekannten um

Er sucht Wege in unbekanntem Terrain und findet dort den Erfolgspfad. Damit hat er den Blick auf das Ziel — so ungenau es auch immer sein mag.

Fähigkeit 11: Ein sehr guter Entwicklungschef kann erfolgreich Veränderungsprozesse anstoßen und führen

Er setzt sich für die gewählte neue Ausrichtung ein und folgt persönlich dieser neuen Linie, selbst wenn diese der gängigen Praxis widerspricht. Dabei bleibt er nicht starr, sondern lässt auch neue Erkenntnisse aus Piloten einfließen („fail early, fail cheap“). Er kommuniziert die neue Ausrichtung und erforderlichen Veränderungen mit einer klaren Begründung und wirbt bei allen sich bietenden Gelegenheiten für die zukünftige Ausrichtung.

Fähigkeit 12: Ein sehr guter Entwicklungschef ist ein starker Netzwerker

Er verfügt über starke interne und externe Netzwerke in Technologie, Wissenschaft und relevanten Gremien. Und er kann diese Netzwerke gestalten und sie zum Wohle (Innovation) des Unternehmens nutzen. Das setzt ein Denken und Handeln in Kategorien der Vernetzung voraus und bedingt die aktive Zusammenarbeit über funktionale Grenzen hinweg.

Ausgeprägte Ergebnisorientierung

Der Erfolg eines Entwicklungschefs kann anhand einiger etablierter Kriterien gemessen werden — etwa an der

  • erfolgreichen Durchführung von Entwicklungsprojekten,
  • Anzahl von Neuproduktanläufen oder Modellpflegen p.a.,
  • Einhaltung des SOP,
  • Schlagkraft und Motivation der Entwicklungsführungskräfte und Teams,
  • Einhaltung des (Headcount-) Budgets,
  • Platzierung bei Vergleichstests,
  • etc.

Damit würde man jedoch eindeutig zu kurz springen oder zu „klein-klein“ denken. Stattdessen geht es vielmehr um die Erfüllung der strategischen Ziele.

Fähigkeit 13: Ein sehr guter Entwicklungschef erreicht „Delivery on Strategy“

Erfolg und Ergebnis zeigen sich durch den identifizierten und konsequent gegangenen Erfolgspfad und die Konkretisierung in Produkten in zwei bis fünf Jahren. Ohne Frage geht es dabei auch um eine gewisse Prognosegenauigkeit und tatsächliche Erreichung der kommunizierten Ziele, um keine (negativen) Überraschungen zu schaffen. Das erfordert auch eine Durchgängigkeit der technischen Lösungen über Modellreihen hinweg, um maximale Synergien zu realisieren.

Insgesamt zeigt sich der Erfolg eines wirklich sehr guten Entwicklungschefs an der Geschwindigkeit, in der die (richtigen) neuen Technologien in das Unternehmen und in profitable Produkte und Geschäftsmodelle gebracht werden, und wie schnell und wie weit Technologie zu realisiertem Wettbewerbsvorsprung und Unternehmensergebnis beiträgt.

Kurz gesagt — es geht um die Anzahl der realisierten „Blockbuster“ und die Erreichung der strategischen Ziele.

Fazit

Bei allem Hype über „Digitalisierung“, den „Chief Product Officer“ und „Disruption“ — gesucht werden nach wie vor und gerade überzeugende Führungspersönlichkeiten mit nachgewiesenen General Management- Fähigkeiten und einem starken Erfahrungshintergrund in der technischen Entwicklung.

Es sollte also nicht der beste Techniker zum Entwicklungsvorstand berufen werden — sondern die Persönlichkeit, die ein solides technisches Verständnis mit Geschäftsplänen verbinden kann.

Das gilt für einen etablierten Automobilhersteller oder einen mittelständisch geprägten Zulieferer genauso wie für die Newcomer bei Tesla, Google & Co. Der Unterschied — bei den Newcomern wird mehr das „traditionelle“, automobile Engineering- Know- How benötigt, bei den Etablierten muss die Geschäftsmodell- Kompetenz schnell aufgebaut werden.

Rat an künftige Entwicklungschefs

In unseren Interviews und Gesprächen fragten wir Aufsichtsräte und amtierende Entwicklungsvorstände auch nach ihrem Rat an künftige Entwicklungschefs:

  • Lese die Kristallkugel, habe den Weg in die Zukunft im Kopf, lasse Dich nicht beirren. Kämpfe dafür und um Budget. Und nimm Deine Führungsmannschaft mit!
  • Setze Leute Deines Vertrauens ein, die loyal, gut und stark sind und Dich gut beraten. Eine sehr starke zweite Ebene ist der Schlüssel!
  • Sprich möglichst oft mit jungen Leuten, verstehe, was sie wollen oder gern hätten. Frage dabei nicht nur intern im Vertrieb und Marketing — Du musst die zukünftigen Bedürfnisse kennen, mit Technologie-Trends vertraut sein und diese dann erfolgreich im Produkt umsetzen.
  • Sei offen für andere Fachbereiche — auch dort sind Know-how und Ideenreichtum vorhanden.
  • Schaue, was der Kern der Marke ist. Arbeite daran, ihre Stärken zu stärken.
  • Traue Dich, zu entscheiden und (mehr) Risiken einzugehen!

(Mehr ist es nicht)

1 Wenn wir im Folgenden neben der maskulinen Form nicht konsequent die feminine Form verwenden, so geschieht dies ausschließlich der besseren Lesbarkeit wegen.^